News

Documenta Endspurt

Documenta Endspurt

Nur noch bis zum nächsten Wochenende läuft die Documenta in Kassel. Wer jetzt noch die Zeit findet hinzufahren, sollte sich die Highlights der Weltkunstausstellung herauspicken. Nicole Büsing & Heiko Klaas haben für DARE ein voll gepacktes, aber durchaus zu schaffendes Tagespensum zusammengestellt.

Am 16. September geht die Documenta 13 definitiv zu Ende. Die Weltkunstschau wird dann 100 Tage lang die Stadt Kassel in einen internationalen Parcours der oft ortsspezifischen Installationen, Skulpturen, Videoarbeiten und Performances verwandelt haben. Noch ist also Gelegenheit, sich ganz kurz vor Schluss vom Stand der aktuellen Kunstproduktion zu überzeugen. Allerdings: Es ist eine Documenta der vielen Standorte. Nicht nur die klassischen Ausstellungsorte wie das Fridericianum und die Documentahalle werden bespielt. Allein im weitläufigen Auepark hat die Künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev über 30 Arbeiten, viele davon in kleinen Holzpavillons, versammelt.

Pierre Huyghe: „Untilled“ 2012, Foto: Klaas

Wer sich zunächst ein Fahrrad mietet (Infos und Anmeldung unter www.konrad-kassel.de) und dann hier beginnt, sollte sich, wenn die Zeit drängt, auf einige viel diskutierte Highlights beschränken. Der Franzose Pierre Huyghe hat ganz hinten in der Aue eine geheimnisvolle Lichtung voller bewusstseinserweiternder Pflanzen und Wasserlachen angelegt. Hier begegnet man einer liegenden Frauenskulptur, deren Kopf aus lebenden Bienen besteht, und zwei spanischen Windhunden mit fluoreszierenden Pfoten. Ein surrealer Gegenort, an dem sich der Mensch als Eindringling fühlt. Wer sich für ein wirklich gutes Video die Zeit nehmen mag, sollte den Pavillon des in Berlin lebenden Israelis Omer Fast aufsuchen. Fast erzählt in 40 Minuten vor der Folie heimkehrender Afghanistan-Soldaten die Geschichte eines bildungsbürgerlichen Ehepaares. Generationenkonflikte, inzestuöse Begierden und unverarbeitete Kriegserlebnisse mischen sich zu einem überaus verschachtelten Plot. Ein Ort der Besinnung und des akustischen Erlebens dagegen ist das suggestive Klangfeld „For a thousand years“ von Janet Cardiff und George Bures Miller. In einer Waldlichtung darf der Besucher auf Baumstümpfen Platz nehmen und einem dichten Klangteppich aus Natur- und Zivilisationsgeräuschen lauschen, der in einen mystischen Chorgesang des estnischen Avantgardekomponisten Arvo Pärth mündet.

Janet Cardiff & George Bures Miller: „for a thousand years“ (2012), Foto: Klaas

Raum von Yan Lei in der Documenta-Halle, Foto: Klaas

Das Fridericianum ist ein Muss für jeden Documenta-Besucher. Wer sich im Erdgeschoss auf Carolyn Christov-Bakargievs Installation „The Brain“ mit kunstgeschichtlichen Verweisen und zeitgenössischen Exponaten einlässt, erhält zumindest einen kursorischen Einblick in ihr komplexes Referenzsystem, in dem offenbar alles mit allem zusammenhängt. Verstehen ist etwas anderes. Ryan Ganders sanfter Windzug im ansonsten fast leeren Erdgheschoss, Ceal Floyers mantraartiger Gesang „I‘ll just keep on…‘til I get it right“ und der in einer Vitrine präsentierte Brief Kai Althoffs, in dem dieser seine Nichtteilnahme begründet, dürften sich ebenfalls in die Erinnerung an diese Documenta eingraben.

Video von Rabih Mroué, Foto: Klaas

Goshka Macuga: „Of what is, that it is; of what is not, that is not 1“, 2012 (Wandteppich), Foto: Klaas

Raum von Thomas Bayrle in der Documenta-Halle, Foto: Klaas

Ein Ausstellungsort mit vielen Highlights ist dann der Hauptbahnhof. Einmal quer durch die Kasseler Innenstadt, findet man hier im Nord- und Südflügel viele interessante, durchaus auch politische und sinnliche Arbeiten. Im Gedächtnis bleiben werden die Räume des Libanesen Rabih Mroué, der sich in verschiedenen Medien mit der Tötungsroutine im syrischen Bürgerkrieg auseinandersetzt. Weiterhin beeindruckt dann der Videofilm „Secretion“ des Nordiren Willie Doherty, der in melancholischen Bildern eine Parabel der Zerstörung und menschlichen Vernichtung erzählt. Es lohnt sich,  das Gleis 10 ganz zu  Ende zu gehen und dort der intensiven Klanginstallation der Schottin Susan Philipsz zu lauschen, die an die Deportationen nach Auschwitz und Theresienstadt erinnert, die auf diesem Bahnhof ihren Ausgangspunkt hatten. Wer tiefer eintauchen will in die Welt des Bahnhofs mit all seinen ambivalenten Geschichten, sollte den 26-minütigen Videowalk von Janet Cardiff und George Bures Miller mitmachen. Ausgerüstet mit einem iPod, auf dem Sound und ein Video laufen, vermischen sich die virtuelle und die reale Ebene zu einem völlig neuen, sehr individuellen Erleben.

Fabio Mauri: „L`universo, come l`infinito, lo vediamo a pezzi“, 2009, Foto: Klaas

Kader Attia: „The Repair“, 2012, Foto: Klaas

Für viele Documentabesucher ist das Hugenottenhaus in der Innenstadt ein weiterer Höhepunkt des Parcours. Hier hat Theaster Gates aus Chicago mit vielen Helfern eine Gesamtinstallation eingerichtet und die heimische Wohn-, Arbeits- und Ateliersituation auf Kassel übertragen. Während der Eröffnungstage fanden hier improvisierte Jazz-Sessions statt. Vom Hof aus geht man in einen komplett abgedunkelten Raum, in dem eine Dauerperformance von Tino Sehgal aufgeführt wird. Ein Dutzend Tänzer umschwirrt das Publikum und entfaltet eine atmosphärisch dichte Collage aus Bewegung, Sound und Atemgeräuschen. Der perfekte Abschluss für einen letzten Schlussspurt über die Documenta 13. All das wäre an einem Tag zu schaffen, vorausgesetzt, man mietet sich ein Fahrrad und gönnt sich keine allzu langen Ruhepausen.

Kristina Buch: „The Lover“ 2012,Foto: Klaas

Vortragsperformance „The Pixelated Revolution“ (2012) von Rabih Mroué, Foto: Klaas

Nach 100 Tagen Documenta-Fieber wird die Stadt Kassel also bald wieder in ihren gewohnten Alltagstrott zurückkehren. Mit Spannung wird in diesen Tagen auch die offizielle Besucherzahl erwartet. Geschäftsführer Bernd Leifeld gibt sich da ganz gelassen und verkündet: „Immer so viele Besucher wie beim letzten Mal plus eins. Und für den einen arbeiten wir hier Tag und Nacht.“

Robin Kahn & La Cooperativa Unidad Nacional Mujeres Saharauis: „The Sahrawi Tent Cooperative“, 2012, Foto: Klaas

Documenta 13 in Kassel
bis 16. September 2012, täglich 10-12 Uhr
www.d13.documenta.de

Kataloge:
Das Buch der Bücher, 816 S. 1220 Abb., 68 Euro 
Das Begleitbuch, 536 S., 343 farbige Abb., 24 Euro
Das Logbuch, 320 S., 646 Abb., 30 Euro

Alle Publikationen sind im Hatje Cantz Verlag erschienen

 

Leave a Reply

Name*

e-Mail * (will not be published)

Website